DIE JÜDISCHE GEMEINDE IM OSMANISCHEN REICH

Das Osmanische Reich war im Laufe seiner Geschichte ein Ort, an dem Juden ohne Furcht vor Verfolgung leben konnten - ein Privileg, das ihnen in den meisten Teilen in Europa des 19. Jahrhunderts verwehrt wurde
13 Ekim 2017 Cuma
13.10.2017

Das Osmanische Reich war im Laufe seiner Geschichte ein Ort, an dem Juden ohne Furcht vor Verfolgung leben konnten - ein Privileg, das ihnen in den meisten Teilen in Europa des 19. Jahrhunderts verwehrt wurde

Die Osmanen begegneten den Juden als Gemeinschaft erstmals als sie Territorien vom Byzantinischen Reich eroberten. Diese griechischsprachigen Juden waren als „Romanioten" bekannt. Mit der Zeit wurden sie zu osmanischen Bürgern.

Gruppen jüdischer Gemeinden, die aus Frankreich vertrieben wurden sowie die aschkenasischen Juden, die der Herzog von Bayern Ludwig IX. Im Jahr 1470 vertrieben hatte, sie alle suchten später zu der Herrschaftszeit von Sultan Murad II. Zuflucht im Osmanischen Reich.

Später nahm Sultan Bayezid II. Zehntausende sephardische Juden auf, die 1492 während der Reconquista aus Spanien geflohen waren. Sie ließen sich in verschiedenen Städten nieder. Hervorzuheben sind hier Saloniki (Thessaloniki), Smyrna (Izmir) und Konstantinopel. Diese Städte hatten eine große jüdische Population. Auch jene Juden, die im Jahr 1660 in Polen und in der Ukraine Massaker erlitten hatten, erhielten Zuflucht bei den Osmanen.

Stadtmenschen

Rund 90 Prozent der osmanischen Juden waren sephardischen Ursprungs und lebten in Städten wie Konstantinopel, Saloniki, Smyrna, Edirne, Bursa, Jerusalem, Safed, Kairo, Ankara, Tokat und Amasya.

Während der Herrschaft von Süleyman dem Prächtigen, als Konstantinopel eine Bevölkerung von etwa 500.000 Menschen vorweisen konnte, betrug die Zahl der osmanischen Juden ungefähr 40.000. In Saloniki, der damals größten jüdischen Stadt der Welt, machten die osmanischen Juden mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus.

Der Antisemitismus war den Osmanen fremd. Das Osmanische Reich war einer der wenigen Orte auf der Welt, an denen Juden frei leben konnten. Im Europa des 19. Jahrhunderts hingegen lebten sie unter harten Bedingungen, oft in geschlossenen Ghettos und bekamen keine Religionsfreiheit. Positionen in öffentlichen Ämtern oder gar das Recht zu leben wurde ihnen oft verwehrt. Sie hatten auch kein Recht Eigentum zu erwerben, eine Ausbildung zu bekommen, Reisen zu tätigen, Druckereien zu besitzen oder Zeitungen zu veröffentlichen.

In der österreichisch-ungarischen Monarchie konnten die Juden relativ frei leben., Derhielt die jüdische Minderheit erhielt das Recht, sich in den Städten niederzulassen, die Künste zu erlernen und an einer Vielzahl von Universitäten außerhalb der jesuitischen Institutionen zu studieren. Dies geschah aber vor allem aus Angst vor einem ähnlichen Umbruch, ähnlich der Französischen Revolution. Geregelt wurden die Rechte durch die Toleranzerklärung von 1782. Derartige Einschränkungen waren bei den Osmanen nicht denkbar gewesen.

Fass mit Nägeln

Obwohl die Juden in ihrer Mobilität eingeschränkt waren und in der christlichen Welt unterdrückt wurden, konnten viele Juden durch den Handel reich werden und begannen sogar irgendwann Geld an Regierungen zu leihen, was die Feindseligkeiten gegen die Minderheit jedoch anheizte.

Obwohl sich ihre soziale Situation in Europa mit der Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert verbesserte, konnten Juden trotzdem nur dann an den erzieherischen, kulturellen und politischen Bereichen des Lebens in Europa teilnehmen, wenn sie ihre jüdische Identität durch die Taufe und die Annahme der christlichen Kultur aufgaben. Sie konnten mit der Zeit jedoch immer mehr Einfluss in der Weltpolitik erlangen, vor allem aufgrund der reichen jüdischen Gemeinschaft in der anglo-amerikanischen Welt.

Die osmanischen Juden hingegen sahen sich mit vielen äußeren Hindernissen konfrontiert, die ihnen meistens von ihren Nachbarn, den Christen, auferlegt wurden. Christen waren in der Regel gegenüber Juden feindlich gesinnt. Dies hatte primär religiöse Gründe, denn sie bezichtigten die Juden der Feindschaft zu Jesus Christus. Dies ist der grundlegende Antrieb hinter all den Katastrophen, mit denen die Juden im Laufe der Jahrhunderte zu kämpfen hatten.

Infolgedessen glaubten die Christen, dass die Juden das Blut christlicher Kinder ihrem ungesäuerten Brot, dem sogenannten „Matze" zufügten, einem traditionellen Fladenbrot, das während des Passahfestes zubereitet wird. Sie behaupteten oft, dass Juden ihre Kinder entführt und sie in Fässer mit Nägeln gesteckt hätten, um ihr Blut zu zapfen. In Wahrheit ist aber sogar das Blut eines koscheren Tieres für Juden aus religiösen Gründen zum Verzehr untersagt. Fromme Juden essen kein Fleisch, ohne es vorher siebenmal zu waschen. Solche Geschichten über Fässer mit Nägeln waren häufige Anschuldigungen bei vielen Beschwerden, die den osmanischen Behörden in jener Zeit vorgelegt wurden.

Nach dem Verschwinden eines Kindes aus einer christlichen Familie in Damaskus, behauptete die Öffentlichkeit einst, dass das Kind von Juden entführt und in ein Fass voll mit Nägeln geworfen wurde. Diese Behauptung führte letztendlich zum Massaker von 1840 und der Intervention europäischer Mächte, die später den Weg für die Autonomie des Libanon ebneten.

Juden und Handel

Da im Judentum kein einzelnes Oberhaupt wie bei den Christen exisitiert, gab es bei den osmanisch-Jüdischen Gemeinden mehrere Oberrabbiner, die die osmanische Juden beaufsichtigten. Nach ihrer Herkunft, Provinz und Stadt gruppiert, wurde jede Gemeinschaft einem eigenen, selbst gewählten Oberrabbiner unterworfen, der durch das Zentrum ausgewählt und benannt wurde. Jede Gemeinde hatte ihren eigenen Rabbi sowie eigene Synagogen, Schulen, Lehrer, Höfe, Friedhöfe, Krankenhäuser und Zeitungen.

Der Rabbi war auch der Chef des religiösen Hofes, genannt „beth din". Er organisierte und leitete Zeremonien wie Verlobungen, Hochzeiten, Geburten, Beschneidungen, Beerdigungen und Tier Opferungen. Ihm oblag auch die Entscheidung über Familien- und Erbrechtsfälle. Sie waren darüber hinaus für die Erhebung der Steuern für die Regierung verantwortlich.

Das jüdische Handelsleben im Osmanischen Reich war, wie fast überall auf der Welt auch, so erfolgreich, dass sie im 16. Jahrhundert in er Lage waren, Kredite an den osmanischen Palast zu verleihen. Durch diese Kreditvergabe erhielten osmanische Juden dann genug Macht, um politische Autorität zu erlangen.

1844 machten Juden etwa 170.000 der insgesamt 35.350.000 Menschen in der osmanischen Bevölkerung aus. 1905, als die Gesamtbevölkerung des Osmanischen Reiches 20,9 Millionen betrug, stand die Zahl der Juden bei ca. 256.000 - und als die Bevölkerungszahl 1914 auf 18,5 Millionen zurückging, waren es noch etwa 187.000 Juden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung jüdisch. Die Veränderung der Bevölkerung hängt mit verschiedenen Territorialverlusten und Migrationsbewegungen zusammen.

Zionismus

Durch die 1865 veröffentlichte Verordnung von Rabbinat, wurde eine demokratische Struktur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft etablierte. Von nun an war es den Bürgern erlaubt, in öffentlichen Angelegenheiten ein Mitspracherecht zu bekommen, das vorher nur den Geistlichen zuteil war.

Osmanische Christen stellten sich entschieden dagegen, Juden einen rechtlichen Status zugeben, der sich nicht mehr von den anderen Minderheiten im Reich unterschied. Einige Griechen sollen daraufhin gesagt haben: „Schande über die osmanische Regierung, sie stellen uns mit den Juden gleich, dabei hatten wir der Oberhoheit des Islams zugestimmt!" Dies spiegelt die allgemeine Neigung der osmanischen Christen wider, die Juden als der christlichen Gemeinschaft untergeordnet zu sehen.

Obwohl die Mehrheit der Nichtmuslime im Osmanischen Reich von europäischen Imperien unterstützt und im 19. Jahrhundert als Druckmittel gegen die osmanische Regierung benutzt wurde, war dies für die jüdische Gemeinde nicht der Fall. Der Strom des Zionismus, der in diesem Jahrhundert aus Europa herausfloss, verursachte jedoch ein großes Unglück für das Osmanische Reich.

Die Zionisten, eine Gruppe von Juden, die eine Regierung in Palästina gründen wollte, konnten auf eine erhebliche moralische und finanzielle Unterstützung bauen. Im Osmanischen Reich halfen die Zionisten den Jungtürken bei der Entmachtung von Sultan Abdülhamid II. Nach dessen Sturz wurde die Einwanderung von Juden nach Palästina schließlich genehmigt. Der prominenteste Finanzier und Mentor des „Komitees für Einheit und Fortschritt", das die Regierung 1908 an sich nahm, war ein jüdischer Bankier italienischen Ursprungs aus Saloniki, Emmanuel Carasso.

Als Griechen, die bis dahin einen privilegierten Status inne gehabt hatten, nach dem Konstantinopel-Massaker an den Griechen von 1821, in Ungnade fielen, hofften die Juden ihre Stelle einnehmen zu können. Doch dazu kam es nicht, denn die Armenier rückten mit ihren in Anatolien verstreuten Kunstwerken und dank ihres Kapitalüberschusses in den Vordergrund. Als Folge einer Empfehlung der jüdischen Lobby vertrieb die Jungtürkenregierung 1915 die Armenier aus Anatolien. So konnten die Juden die Kontrolle über die Wirtschaft des Reiches erlangen.

Carasso, der Teil des Komitees war, das Abdülhamid II. über seine Entthronung informierte, war der engste Vertraute von Talat Pascha, der wiederum für das Abschiebungsgesetz zuständig war. Als Talat Pascha 1918 ins Ausland flüchtete, vertraute er ihm sogar sein ganzes Hab und Gut an.

Um eine aktive Rolle bei der Gründung der Regierung von Ankara zu übernehmen, kehrte Carasso vor seinem Tod in seine Heimat zurück.

Nach der Gründung der Republik fielen Juden verschiedenen Pogromen zum Opfer. Sie standen vor Problemen, die durch die antisemitische Politik der 1940er Jahre verursacht worden waren. Mit der Kapitalsteuer von 1942 wurde ein erheblicher Teil des jüdischen Kapitals abgebaut und verstaatlicht. Die meisten Juden in der neuen Republik flohen nach Israel, das 1948 gegründet wurde. Heute leben noch etwa 50.000 Juden in der Türkei.